Entstehungszeit: Leipzig (Fuge früher)
Das Präludium dieses berühmten und vielgespielten Werks vereinigt in sich alle Kriterien eines erstrangigen Meisterstücks. Der musikalische Grundgedanke (annäherungsweise als “hochexpressives, passionsoratorisches Pathos” zu verbalisieren) wird mit plastischem Gestus und von allem Beiläufigen freien Formulierungen auf den Nenner gebracht und in klassischer, dabei einmalig-individueller, spannkräftig einbindender Formgebung ebenso ausgelebt wie bewältigt.
Das musikalische Baumaterial findet sich –in ungleicher Mengenverteilung– in den beiden ersten, 24 Takte umfassenden Abschnitten der Komposition. Abschnitt A (Hauptsatz) bietet, zu einem geschlossenen Ganzen verschweißt, folgende Gedanken:
- 1. Akkordschläge
- 2. Seufzermotivik (auf- und abwärts)
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- 3. Triolenbewegung (!)
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- 4. chromatischer Gang
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- 5. Sechzehntelaufschwünge über neapolitanischem Sextakkord
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- 6. Baßmotiv
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Abschnitt B (Seitensatz) dagegen beschränkt sich auf eine Verarbeitung folgenden Doppelgedankens:
Das eigentliche, formbildend weiterführende Leben des Stücks schafft Bach nun dadurch, daß er nach der ersten, concertohaften Gegenüberstellung der beiden gleichlangen Abschnitte A und B zu einer frappierenden “Verkeilung” des Gedankenguts beider Abschnitte schreitet, die sich dann zu durchführender Verquickung steigert (Takte 49 bis 105), um am Ende beide Bereiche – säuberlich voneinander getrennt, jedoch in umgekehrter Reihenfolge (B tonartlich, kontrapunktisch und in der Abfolge versetzt, A dann wortwörtlich) – aus allem wieder hervorgehen zu lassen. Durch diese reprisenhafte Wiederkehr des Eingangsabschnitts A gewinnt das Stück einen klaren, architektonischen Rahmen (vgl. die Form der auch sonst nahestehenden c-moll-Fuge aus BWV 537!). Dennoch gebietet (im Sinne des eingangs zur F-Dur-Tokkata/BWV 540 Gesagten) der beherrschende, dramatische Mittelteil des Stücks, hier eher von einem bewunderungswürdigen musikalischen “Organismus” als von einer “Architektur” zu sprechen.
Die weitaus weniger geschlossen und “inkonsequenter” gestaltete fünfstimmige Fuge – nach allgemeinem Dafürhalten ist sie um einiges früher entstanden – hält wegen ihrer hohen musikalischen Schönheit dem vorausgegangenen Präludium durchaus stand. Sie beginnt mit einer 59taktigen Bearbeitung folgenden Hauptthemas:
Es folgt in den Takten 59 bis 86 ein Manualiter-Abschnitt, der den neuen manualiter Gedanken
auf fugenhaft-imitatorischer Grundlage entwickelt. Seine erste Hälfte wird im anschließenden Teil (86-121) mit dem nun wieder auftauchenden Hauptthema locker kombiniert; als Ganzes hören wir ihn noch einmal als kleines Zwischenspiel (98-103).
Gedanklich unverbunden mit dem übrigen Stück bleibt das nun folgende reizvolle Manualiter-Intermezzo mit seinen klavieristisch-homophonen Figurationen; von manchen als “unmotiviert” und “aus dem Rahmen fallend” beanstandet, bereitet es doch wirkungsvoll auflockernd den Schlußabschnitt (140-159) vor, der mit dem einzigen noch folgenden Themeneinsatz (im Pedal) kraftvoll anhebt, unter beiläufiger Verwendung kontrapunktischen Materials aus dem ersten Teil einen (modern dominantischen) Orgelpunkt erreicht und mit mächtigen, vollgriffigen Akkorden siebenstimmig schließt.
Neben souverän-zwangsloser Formung besticht an dem Stück die innere musikalische Wandlung, die es im Verlauf seiner 159 Takte erfährt. Nach der fast steinernen Strenge des Beginns (Detail etwa: der archaische Quintklang beim zweiten Themeneinsatz!) gewinnt es an Freundlichkeit im ersten Manualzwischenspiel (ab 59); noch wärmere Töne kommen im nächsten Teil (86-121) auf, wenn das Thema ins parallele Es-Dur versetzt (aber als As-Dur harmonisiert!) erscheint. Der Übergang ins subdominantische f-moll, mit dem dann das letzte Manualzwischenspiel beginnt (121-139), entfaltet im Verein mit seinen klavieristischen Figuren und dem insistierenden Baß dramatisierende Wirkung, der Schluß wendet sich ins Pompös-Majestätische.
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- Zuletzt aktualisiert: 22. März 2014
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