Entstehungszeit: (Weimar-Köthen-) Leipzig
Beachten Sie auch die Einführung zu den Triosonaten!
Wie schon in der Einleitung gesagt, bildete der 1. Satz (Adagio/ Vivace; abgesehen von der Adagioeinleitung Typus 2) – und zwar wohl ursprünglich – die Eingangssinfonia zum zweiten Teil der Kantate 76 aus dem Jahre 1723. Er war dort kammermusikalisch für Oboe d’amore, Viola da Gamba und Continuo besetzt. Die Orgelfassung bietet, von kleinen Änderungen abgesehen, denselben Text.
Zwei Dinge unterscheiden diesen verhältnismäßig kurz und einfach gehaltenen Satz von allen anderen Triosonatensätzen: einmal die viertaktige, von fern an die französische Ouvertürenform erinnernde Einleitung (Adagio), zum andern, daß das einzige Thema des Hauptteils (Vivace) dort, wo es vollständig vorkommt, weder tonal, noch im üblichen Tonika-Dominanteverhältnis, sondern immer real und auf gleicher Tonstufe beantwortet wird.
Adagiothema:
Vivace-(=Haupt-)Thema:
Große Bedeutung gewinnt der Anfang des beibehaltenen Kontrapunkts in Takt 5 des Vivaces (= 10 des Gesamtsatzes, s. Notenbeispiel). Er wird im weiteren Verlauf des Stückes geradezu “thematisiert”; wir nennen ihn im folgenden “a” .
Im einzelnen läuft das Vivace wie folgt ab: Alt und Sopran bringen nacheinander das Thema in der Grundtonart, anschließend – nach einem aus “a” geformten Zwischenspiel von drei Takten – in der Molldominante mit getauschter Einsatzfolge. Takt 25 beginnt eine auflockernde, sequenzierende Episode, deren Motiv aus Themenkopf und “a” kombiniert ist:
Eine kurze Überleitung mit dem halben Thema führt nach Takt 31, wo das Thema in der Subdominante (erst Alt, dann Sopran) verarbeitet wird. Die nächsten fünf Takte leiten mit bereits bekanntem Material zur Dominante, in der noch einmal das Zwischenspiel der Takte 25ff. erklingt (gleiche Tonart, vertauschte Stimmen). Der Rest des Satzes (Takte 49-65) weitet sich – von Abwandlungen des Themenanfanges ausgehend, den Themenkopf gegen Schluß noch einmal zitierend – zu einer freien Fortspinnung aus.
Der ein wenig spröden Atmosphäre des ersten Satzes wird nun die Lyrik des herrlichen 2.Satzes (h-moll, Andante) entgegengesetzt. Es hat seinen Grund, wenn viele ihn als “musikalische Hauptsache” der ganzen Sonate empfinden: was Bach hier, ausgehend von zwei, drei Allgemeinplätzen der zeitgenössischen Barockmusik mit wenigen kontrapunktischen und formalen Handgriffen als musikalisches Ganzes zuwegebringt, ist ein kleines Wunder. Erster thematischer Gedanke ist folgende, mit einer neapolitanischen Wendung (“n”) abgeschlossene Quartensequenz:
Die expressiv ausgreifende Wendung
ist der dazu beibehaltene Kontrapunkt.
In Takt 11 taucht erstmalig ein zweiter, dreistimmig-harmonisch konzipierter Gedanke auf:
Er wird in mannigfacher Variation verarbeitet (in ab-, statt aufsteigender Umkehrung, verschieden auskoloriert, kleine freie Fortspinnungen).
Beide Themen sind in den ihnen zugewiesenen Abschnitten ständig präsent, besonders ausführlich das zweite, sodaß insgesamt eine Art musikalischen Um-Sich-Selber-Kreisens, ein schwelgerischer Trancezustand entsteht. Das Geschehen läßt sich beim Zuhören so einfach verfolgen, daß auf eine Einzelschilderung der Abschnitte (1-10; 11-25; 26-40; 40-45) verzichtet werden kann. Hingewiesen sei aber auf die Engführung des ersten Themas in den Takten 40/41 und den Trugschluß in Takt 44; er wirkt hier nicht als formales Ornament, sondern als ästhetisch plausible Notwendigkeit: behutsam, schrittweise wird der Hörer aus der fast betörenden Klangwelt dieses Satzes wieder entlassen.
Das Thema des hübschen 3.Satzes (un poco allegro; wie alle Schlußsätze mit Ausnahme von III/3 in schöner Steigerung des Ganzen vom Typus 3) gibt sich preziös, gestikuliert ein wenig geziert. Es ist aus einer viertaktigen Periode und einer viertaktigen Schlußwendung gebaut:
Der des weiteren hinzugefügte, triolische Kontrapunkt wird – mit einer bedeutsamen Ausnahme (s.u.) – beibehalten. Der Satz ist symmetrisch dreiteilig angelegt (1-35 / 36-59 / 60-97), wobei sich, bei vertauschten Oberstimmen, und abgesehen von verschiedener harmonischer Führung und Ausgestaltung des Schlußgedankens, die Teile 1 und 3 fast vollständig entsprechen.
Teil 1 bringt das Thema nacheinander im Sopran, im Alt und – nach triolischem Zwischenspiel – im Baß. Sequenzierend und fortspinnend leiten die anschließenden acht Takte in die parallele Durtonart (G) und damit in den zweiten, kürzeren Teil über. Hier erscheint das Thema im Alt, dann im Sopran. Es folgt eine abermals achttaktige Überleitung, die u.a. das Zwischenspiel der Takte 16ff. variiert und in die Subdominanttonart a-moll führt, in welcher nun der dritte, reprisenhafte Teil beginnt. Um diesen Beginn deutlich zu markieren, um also zu verhindern, daß in Takt 60 das Altthema vom Sopran zugedeckt wird und der Hörer den Beginn des dritten Teiles irrtümlich erst danach mit dem wieder in der Haupttonart stehender Sopraneinsatz in Takt 66 in Verbindung bringt, verzichtet Bach hier das einzige Mal auf den beibehaltenen Kontrapunkt und setzt an seine Stelle abgerissene, pausendurchbrochene Floskeln in den Sopran, wozu sich die Pedalstimme plötzlich geradezu aufgeregt in Triolensechzehnteln gebärdet.
Zur Formung des Schlusses: Bach verwertet die gleichen Formeln wie am Ende des ersten Teils, bleibt aber natürlich in der schon endgültig erreichten Haupttonart e-moll. Die sich dabei ergebende, fünftaktige Phrase wird mit vertauschten Oberstimmen repetiert – sozusagen eine abgestuft ausklingende “Doppelcoda”!
Wie in der Einführung bereits erwähnt, hat Bach diesen Satz zeitweise als Einschub zu Präludium und Fuge in G-Dur (BWV 541) verwendet.
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- Zuletzt aktualisiert: 18. Mai 2014
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