Entstehungszeit: ?
Das “Kleine Harmonische Labyrinth” – ein musikalisches Pendant zu den Irrgärten barocker Parkanlagen – steht im Rahmen des Bachschen Schaffens singulär da. Entsprechend war seine Authentizität schon seit Spitta umstritten. Die eindeutig auf Bach weisende Überlieferungslage bot dafür keine Stütze; es waren vielmehr widersprüchliche stilistisch-kompositorische Befunde, welche die Zweifel nährten. Auch nach langer, eingehender Forschungsdiskussion bleiben diese Widersprüche bestehen: so sind beispielsweise die niveauvoll gestaltete Symmetrie des Stücks, manch besonders geistvoller harmonischer Einfall oder das Rezitativ Argumente für, Probleme der stilistischen Einordnung und der platte Schluß solche gegen Bachs Autorschaft. Lange hat man Johann David Heinichen (1683-1729), einen der wichtigsten musikalischen Zeitgenossen Bachs, als Komponisten favorisiert, doch ist die dafür geknüpfte Kette an Befunden und Überlegungen inzwischen gegenstandslos. Daß Bach mit Wanderungen auf harmonisch verschlungenen Irrwegen natürlich aufs beste vertraut war, versteht sich nicht nur anhand so bekannter (und weitaus hochwertigerer) Beispiele wie der Orgelfantasie g-moll BWV 542/I und der Chromatischen Cembalofantasie c-moll BWV 903/I von selbst. Trotz aller Unsicherheiten hat man sich aber doch dazu entschieden, das Stück unter diejenigen Werke der NBA aufzunehmen, bei denen Bachs Urheberschaft, wie es heißt, ernsthaft in Betracht zu ziehen bleibt (NBA XI).
Der eigentliche kompositorische Vorwurf des Stückes besteht darin, mit harmonischen Möglichkeiten zu experimentieren, die sich aus der Vieldeutigkeit des verminderten Septakkordes, enharmonischen Verwechslungen und Akkordrückungen ergeben. Dieses Feld – erst seit Einführung der temperierten Stimmethode voll beschreitbar – war damals bei weitem noch nicht so abgegrast wie für uns, die wir das 19. Jhdt. hinter uns haben. Bei solcher Harmonik gerät die Musik über gänzlich unerwartete Modulationen und Trugschlüsse in die abgelegensten Tonarten und es entsteht in der Tat ein irreführendes Labyrinth.
Das dreiteilige Stück (Introitus – Centrum – Exitus) geht arglos-wohlgemut von C-Dur aus, um schließlich nach abenteuerlichen Umwegen und einem ratlos-unruhigen Zweiunddreißigstel-Rezitativ die Tonart c-moll zu erreichen. Das Fugatothema des Centrums greift den Schlußseufzer des Soprans (h-c) verknüpfend auf (Artikulation!):
Das könnte unbedingt von Bach sein, ebenso die ganze Entwicklung dieser (übrigens noch in c-dorisch notierten) Partie. Dem im Thema rückwärts versteckten B-A-C-H begegnen wir am Ende im Sopran, richtig herum gespiegelt, wieder:
Die Tonfolge war kurz zuvor schon im Tenor aufgetaucht. Der Exitus steht wieder in C-Dur und entspricht (ohne Rezitativ) dem ersten Teil, versteigt sich aber nicht mehr so kühn.
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- Zuletzt aktualisiert: 17. September 2015
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