Entstehungszeit: Weimar/ Köthen/ Leipzig (?)
Diese freundlich-gediegenen 84 Takte typisch Bachischer Alla-breve-Musik klingen so, als habe jemand den Meister – in einer Phase schon längst routiniert-versierter Könnerschaft – darum gebeten, einmal einem interessierten Laien klar und einfach vorzuführen, was eigentlich eine Fuge ist und wie sie funktioniert. Denn so unprätentiös (und auch leicht ausführbar) dieses Stück einerseits daherkommt, so geschmeidig, ansprechend und bei aller Regelhaftigkeit frei von akademischer Steifigkeit ist es andererseits.
Einigermaßen verwunderlich ist, daß die Fuge von der musikwissenschaftlichen Forschung völlig unbeachtet blieb und es bis zum Jahre 2003 gedauert hat, ehe sie erstmals in der Neuen Bach-Ausgabe (Bd. 11) veröffentlicht wurde!
Die vierstimmig ausgelegte Komposition verarbeitet ein dem “stile antico”, d.h. der Tradition klassischer Vokalpolyphonie nahestehendes Thema:
Die erste Durchführung von 28 Takten Dauer exponiert das Thema vollkommen regelmäßig durch alle vier Stimmen. Sie beginnt mit dem Baß (Dux) und steigt, an Leuchtkraft zunehmend, über die Einsätze Tenor (Comes) und Alt (Dux) zum Sopran (Comes) auf. Eine Überleitung von vier Takten leitet in die Paralleltonart d-moll, in der das Thema ebenso regelmäßig und wieder über 28 Takte hin, aber diesmal in der Einsatzfolge Alt (Dux) – Sopran (Comes in a-moll) – Baß (Dux) – Tenor (Comes in a-moll) durchgeführt wird. Eine weitere, lebhafter als bisher ausgreifende Überleitung von wiederum vier Takten Dauer bringt den Hörer nach F-Dur zurück, wo das Thema noch zweimal in der Dux-Form erscheint, zugleich aber damit überrascht, daß es, abgewandelt formuliert, auf der Dominante C-Dur endet. Es folgen acht frei formulierte, über konventionellem Orgelpunkt auf c sich mit ebenso konventionellen Wendungen artikulierende Schlußtakte, in denen sich zum ersten Mal – wirkungsvoll abrundend – vollständige Vierstimmigkeit ergibt (es ist ja ein Charakteristikum Bachscher Fugenkunst, im Dienste guter Durchhörbarkeit oft sehr sparsam mit der Vollstimmigkeit umzugehen). Im vorliegenden Fall sind – durchgehend bis Takt 77! – nie mehr als drei Stimmen gleichzeitig zu hören. Das Stück ist aber so klar disponiert, daß für den Hörer eindeutig bleibt, daß hier insgesamt vier Stimmen miteinander im Gespräch sind.
Die Fuge ist zwar der Orgel zugewiesen, rechnet aber ganz offensichtlich erst vom Baß-Orgelpunkt in Takt 77 ab mit Einsatz des Pedals. Sie kann auch vollständig manualiter wiedergegeben werden.
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- Zuletzt aktualisiert: 24. September 2015
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